Zu viel licht natürlich
dimmen ist aber
auch nicht
die lösung.
Erster September, Ankunft in der glühenden Stadt. Der Fahrer erwartet mich am Flughafen und fährt mich nahezu wortlos, aber mit einem freundlichen Lächeln oder zweien, über breite Boulevards bis zum Eingang der Zentralen Universitätsbibliothek. Anfängliches Chaos, Wartezeit, ein paar nicht informierte Personen, als ein neues Lächeln aus dem Gebäude geflattert kommt, das mich, mit wuchtigem Koffer und Rucksack beladen, an Büchern vorbei führt, hinauf, hinunter, einen Flur entlang, durch einen Seiteneingang, ein paar Meter die Straße entlang, durch einen noch seitlicheren wieder zurück ins Gebäude und erneut eine Treppe hinauf. Mit jedem Stockwerk steigt auch die Temperatur, die Luft wird immer spärlicher, das Gepäck immer schwerer. Wir bleiben im vierten Stock stehen, zwischen zwei Büros. Mein Begleiter öffnet eine der Türen, deutet mir mit der Hand, ich solle eintreten, gibt mir seine Telefonnummer, verabschiedet sich.
Das kleine Vorzimmer, in dem ich erleichtert mein Gepäck abstelle, ist noch stickiger, ins Bad! Ich öffne das kleine Fenster und schaue mich in dem engen, aber lichtdurchfluteten Innenhof um, in dem Tauben zu herrschen scheinen, momentan an dessen beschatteten Rändern versteckt. Während ich warte, dass das Wasser zu fließen beginnt, um mich erfrischen zu können, mache ich eine Runde durch das Wohn- und Schlafzimmer. Ich reiße mir die durchnässte Sommerkleidung vom Leib und erblicke nackt eine dunkle Ledercouch. Was für ein eigenartiges Objekt. Wenn ich mich jetzt hinsetzte, würde ich mich nur schwer wieder ablösen können. Draußen soll es 35 Grad haben, in dieser kleinen Wohnung noch mehr. Die Klimaanlage zeigt keinerlei Wirkung; ich reiße alle Fenster auf, die Luft steht noch immer. Oder sie strömt im Kreis, sodass ich sie schwer von meinem Schweiß unterscheiden kann. Vermischt sich mit den dichten Tönen klassischer Musik, die durch die Fenster dringt. Zu Hause hatte ich es nicht geschafft eine größere Bewerbung fertigzustellen und der Abgabetermin läuft jede Minute ab. Ich verpuppe mich also in diesen überhitzten Raum, „kühle“ ihn – soweit eben möglich – ab und verbringe den ersten Tag einfach hier. Vor lauter Referenzen-Anführen werde ich schon langsam irre, die Musik tut jedoch gut.
Als ich mir kurz ein paar Lebensmittel hole, bemerke ich, woher sie kommt. Auf dem Platz auf der anderen Seite der Bibliothek findet ein Festival statt. Nun, der Teil für das Volk, den sie mit Auftritten internationaler Orchester, die gegenwärtig hier gastieren, für Passanten und einige Touristen aus den Konzerthallen der Stadt live übertragen.
Hitze, Musik, Licht, Luft – all das kommt von draußen. Am nächsten Nachmittag ist die Bewerbung abgeschickt, es ist Zeit.
Wenn es heißt ist, will ich schon seit jeher schreiben. Die Tinte schießt regelrecht aus dem Schreiber, das Telefon bleibt an den Fingern kleben, der Computer surrt. Taktilität und der Rhythmus der Gedanken, die schmelzen. Unter überhitzten Umständen bemühe ich mich den Raum dafür zu finden, also genug Schatten und Stille, um nicht selbst heiß zu laufen, während dies mein Wortschatz tut. Ein gentrifiziertes Arkaden-Café hinter einer alten kleinen Kirche unweit der Bibliothek ist ein solcher Ort. Schön und lässig, der Kaffee zwar ebenso teuer wie in Wien, aber zum Glück besser. Als ich das Internet ausschalte und mich regelrecht dazu zwinge, beginnen die Verszeilen aus daheim nicht beendeten Ansätzen „zusammen“ zu fließen. Zum Glück. Meinen neuen Band muss ich wirklich zu Ende bringen und es wäre auch gut ihn hier zusammenzustellen. Ich bin wieder spät dran. Immer wieder schon.
(Hier werde ich ihn weder beenden noch zusammenstellen. Es wird aber etwas damit geschehen, etwas Irreversibles.)
Irgendwie bin ich im Schreiben gelandet, bzw. besser gesagt: das Schreiben ist etwas, das ich seit jeher mache und das mich nie verlassen hat, während mich andererseits nichts Neues gepackt hat, nichts Stabileres. Das Schreiben ist eine einzige Instabilität, ein unentwegtes mühseliges Hinter-Fragen. Obwohl es mich zugleich auch aufrecht hält. Ich insistiere also, werde dafür bezahlt, so viel man dafür eben bezahlt bekommen kann, und reise dafür, weil die Lyrik-Industrie beinahe keine Lyrik verkauft, sondern vor allem die Anwesenheit ihres Schöpfers. Ich begebe mich genaugenommen fast nur noch für die Poesie auf Reisen. Wie soll ich sonst die Verantwortung für den entstandenen Schaden übernehmen? Die Ermittlung meines CO2-Abdrucks auf einer Internetseite versicherte mir, dass ich die Flüge, die ich beruflich tätigte, nicht inkludieren solle, das gehöre nämlich in die Bilanz des Arbeit- beziehungsweise Auftraggebers. Wenn es um Lyrik geht, sage ich mir, handelt es sich um Arbeit und für die Arbeit, lüge ich mir selbst ins Fäustchen, geht es ja noch.
Was bin ich für irgendeine Stadt? Ich möchte nicht aufdringlich sein, mich in eine Ecke der Welt setzen und einen Haufen Seiten hervorhusten, die diese auch gleich erklären würden. Aber mich in die Residenz-Maschinerie begebend, kann ich nicht umhin, eine gewisse Verantwortung gegenüber der Idee einer Residenz an sich zu verspüren: wir haben also diese Abgase verbraucht, mir wird ein Wohnraum zur Verfügung gestellt, mir wurde Zeit hier gekauft ... Ich gebe zu, ich reise gerne, weil es mir stets das unweigerliche Gefühl veräußerlicht, niemals an einer Stelle zu sein. Wobei sich mir bei all dem immer mehr die Frage aufdrängt, woher mein Recht aufs Reisen? Wozu dienen diese Flüge eigentlich? Welche Ressourcen bin ich berechtigt zu verbrauchen, damit ein Gedicht entstehen kann? „Mobilität“ sagt man, „ist das, was Europa verbindet“. Aber gerade am Balkan, von dessen Rand ich komme und an dessen Rand ich mich auch nun befinde, ist Mobilität ein monströser Begriff. Ich bin an der Grenze aufgewachsen. Ich weiß, wie es ist, wenn ein Uniformierter ein Gewehr auf einen richtet, und meint, man habe da nichts zu spielen. Ich kann mich aber schwer in diejenigen hineinversetzen, die nicht spielen können, ohne dass die ganze Zeit ein Gewehr auf sie gerichtet wäre.
Ich setze mich aufs Fahrrad und düse los.
Während man sich in den breiten Straßen am Parlamentspalast bewegt, wird einem schnell klar, mit welchem Groll die Eingriffe in diesen Stadtteil veranlasst worden sein mussten. Als sie für den Bau eines oder zweier Gebäude ganze Stadtviertel dem Erdboden gleich gemacht hatten, hatten sie alle Wege unterbrochen: Autos, Fußgänger, seltene Radfahrer, alle müssen den langen eckigen Weg um das Areal herum nehmen, etwa sieben Quadratkilometer groß. Während ein Viertel wie Uranus abgerissen worden war, an dessen Stelle nun der Palast steht, breiteten sich in den Innenstadtteilen Bukarests Staubstürme aus. Zahlreiche Hunde, die zwangsübersiedelte Menschen hinter sich zurückgelassen hatten, formten blutrünstige Rudel, weswegen man diesen Gegenden – vor allem nachts – besser aus dem Weg ging. Am Ende des Hauptboulevards, der bis zum Parlamentspalast führt, steht heute ein Parkplatz. Hinter dem Gebäude wächst schon seit geraumer Zeit eine nicht weniger bombastische Kirche. Es scheint, als sei auch heute noch die einzige Funktion dieses Stadtteils eine symbolische; die den Menschen vermitteln soll: das Auto herrscht, die Religion herrscht, der Staat herrscht. Der gesamte Komplex ist ein urbanistisches Schwarzes Loch inmitten des Stadtkerns. Als ich ihn, auf Wegen, die die anderen Fußgänger offenbar nicht allzu oft nehmen, an einem unnachgiebig heißen Abend umlaufe, fühle ich mich überraschend heimisch.
Der Raum herrscht.
Ich bin es gewöhnt den Rand des Unzugänglichen zu bewohnen. Jener kleine Ort an der österreichisch-slowenischen Grenze mit den seltenen Häusern, die den Fluss säumen und über die Hügel ringsum gesät sind, in dem ich aufgewachsen war, wird von einer steilen bewaldeten Anhöhe unterbrochen, an dessen Fuß unser Familienhaus steht und darüber, zwischen hohen alten Buchen eingeklemmt, eine mächtige Burg. Bis Anfang des Jahres 2004 befand sich darin ein Institut für neurologisch und psychisch Kranke. Es war hermetisch vom Dorf abgeriegelt: ein riesiges Ding mit hunderten von Nutzern inmitten eines „Ortes von wenigen Dutzend“. So wie diese totale Institution dysfunktional war, so schien der Ort ringsum auch nicht gerade zu funktionieren. Vor allem nach dem Zerfall Jugoslawiens und der stetigen Entspannung der Grenze, währenddessen der Großteil der kleinen Dienstleistungswirtschaft zusammengebrochen war, die es am Grenzübergang gab und die sich zum Teil aus einem gemäßigten Schmuggel speiste. Die Dorfnachbarschaft hatte ich wirklich nicht als eine Gemeinschaft erlebt. Den Großteil meiner Zeit verbrachte ich vor dem Fernseher, mit Büchern, am Wasser und zwischen Bäumen.
Der Monat schmilzt dahin, die Tage bleiben zwar sonnig, werden aber sichtbar kürzer, während sich die Hitze endlich in Wärme wandelt. Als ich ihr gegenüber mein Interesse für solche Orte bekunde, erzählt mir die Besucherin des Abends, bei dem ich auch selbst lese, von ihrem Lieblingsort in dieser Stadt. Es ist ein Delta, sagt sie – ich denke dabei an die Donau, in der ich mich in letzter Zeit in Wien gerne abkühle und die ein paar hunderte Kilometer von hier entfernt ins Schwarze Meer fließt – sie sagt, es sei genaugenommen kein wirkliches Delta, man nenne es nur so, obwohl sie nicht wisse warum, dass Ceaușescu dort etwas habe niederreißen lassen, dass es eine wahre Wildnis inmitten der Stadt sei, unter Naturschutz, wenn sie sich nicht irre, sie sei gerne dort. Dabei wiederholt sie unentwegt den Namen, der mir am Weg in die Wohnung nicht aus dem Ohr rascheln will: Văcărești.
Am nächsten Tag mache ich mich zu Fuß auf den Weg. Dieser führt mich durch den alten Stadtkern bis zum Vereinigungsplatz, dann entlang des eingeklemmten und teils zerstückelten Flusses Dâmbovița, der von Wohnblöcken umsäumt ist, von Fakultäten, einer Industriezone. Es ist ein sehr langer Spaziergang, der sich jedoch nicht zieht, da mich zumindest – wie gewöhnlich – wieder alles interessiert. Ich gehe nicht um des Abenteuers willen. Zu einer Geschichte kommt es auf solchen Wegen eher selten. Ich reise nicht so, schmeiße mich nicht unter die Leute, obwohl ich sie natürlich treffe. Es kommt zum Raum. Der Raum kommt. Er erstreckt sich und zieht sich mich über ...
Ein paar Stunden später erreiche ich einen großen, neuen Wohnkomplex, der in seinem schwarzen Glaskörper vor sich hinglänzt. Unmittelbar daneben wuchert ein Gestrüpp, dieser Ort wurde scheinbar noch nicht völlig (wieder) besiedelt. Ein geschwungener, von hohem, vom Sommer ausgedörrten Gras umrandeter Weg, biegt von der Straße ab und führt auf eine Art Damm hinauf. Es ist früher Abend, die Sonne – noch immer recht heiß – wirft lange Schatten über den Blick, der versucht ganz oben inne zu halten. Ich stehe auf dem Weg, der zu beiden Richtungen dem Damm folgt. Dieser fällt in einem relativ steilen Betonhang zu einer weiten Ebene ab, die mit demselben Gras überwuchert ist, mit Gebüsch und niedrigen Bäumen. Etwas weiter vorne wird es morastig, in der Ferne glitzern von Schilf eingefasste Wasseroberflächen. Die Farben brennen: überall trägt die Hagebutte ihre Früchte, das Gras ist regelrecht golden, das Laub in allen spätsommerlichen Schattierungen, dunkelblauer Himmel. Verschiedene Vogelarten fliegen auf und zeichnen lockere konkave Linien über den Wipfeln. Sogar die Insekten surren irgendwie langsamer. Das gesamte Gefilde ist von diesem zubetonierten Damm umgeben, hinter dem von allen Enden die Spitzen der Stadtvedute herausragen.
Ein junger Typ spaziert vorbei, dann sehe ich einen zweiten, etwas älteren, wie er unweit über den Beton hinuntergeht, bald darauf einen dritten, der sich im Gebüsch umsieht. „Wieder“, denke ich mir und lächle. „Schwule wählen die schönsten Orte ...“
Das Gebiet ist zu groß für einen Eingriff. Ein Eingriff in einen Raum von solchem Ausmaß ist an sich zu groß. Was sich hier abgespielt hatte, hatte vielleicht als Eingriff begonnen, endete jedoch in einer Aufhebung. Einer dreifachen eigentlich. Die Aufhebung einer Geschichte – die Absenz von Architektur zeugt ganz klar davon –, des Eingriffs selbst, der an seiner Unmöglichkeit realisiert zu werden zu Grunde ging, aber auch derjenigen, die versucht hatten einzugreifen.
Auch den Rückweg trete ich zu Fuß an und erreiche meine Wohnung erst zu später Stunde.
Auf einem über die Couch ausgebreiteten und in die Ritzen gestopften Handtuch schlürfe ich ein eiskaltes Bier, das ich in einem Kiosk um die Ecke mitgenommen hatte und lese erschöpft alles, was ich finden kann, sehe mir Satellitenaufnahmen und einen Haufen Fotos an. Diese nächtliche Tätigkeit unterbreche ich nur für eine Übung im Gelsenerlegenweitwurf meines Notizblocks und viel später für Schlaf. Das Bild von Văcărești fügt sich mir zusammen.
Eine kurze Geschichte des Gebiets (ein Kloster, ein Gefängnis, in dem in seiner Jugend auch Ceaușescu inhaftiert war, ein Erdbeben, das Drehen eines Kriegsfilms, bei dem die letzten Reste dieses Kulturerbes in die Luft gejagt worden sind ...)
Ich kehre zurück.
Mitten im sengenden Bukarest, das am Rande einer Region liegt, die beschleunigt desertifiziert, und nicht weiß, was mit der Sonne zu tun sei, von der sie immer stärker gepeitscht wird, steht Văcărești, ein gigantisches „misslungenes “ Wasser-„Reservoir“, das mit Beton die einsinkende Erde umrandet, die teils morastig wird und einen der reichsten Biotope Rumäniens erhält: üppiges Wachstum, zahlreiche Vogelarten, Fische, Kriechtiere, Amphibien und Insekten, einige Roma-Familien, einige sportliche Besucher, ein paar cruisende Schwule. Văcărești weiß wie mit der Sonne umzugehen. So abgegrenzt scheint es mir wie ein riesiges Sonnenheiligtum, das ihre Energie schöpft und sie in Leben umwandelt, statt sie wie der Großteil Bukarests in Beton zu speichern, in die Nacht abzugeben und so die StadtbewohnerInnen zu überhitzen. Es ist selbst zu dieser Pracht versunken, wobei es nach dem Zerfall des vorherigen Regimes (und damit dem Ende der Bauarbeiten am Reservoir) niemandem gelungen ist dieses mit einem neuen Großeingriff anzugehen. Dem versumpfenden Terrain und einer Handvoll Naturschützern ist es gelungen, dass es fürs Erste so bleibt.
Lüge des lichts
doch nicht zu viel
am rand von
văcărești
auf warmer
beton-schräge
worauf sonne fällt
kalt
im furchtforst
als du klein warst
ehe du dich mit
siebzehn
nachtgängen
hinein drängtest
dass er dir
auch im dunkel vertraut
wurde
auch wenn dies hier
kein wald ist kein park
was eigentlich?
ein misslungenes reservoir
eingeäscherte geschichte
in ein halb-moor gesackt
in einer halb-savanne verkittet
man sagt: delta
offiziell reservat
wofür?
eingriffe etwa
für vögel
und typen vielleicht
die cruisen.
Am besten ist es überall dort
wo man wirklich wissen müsste
dass etwas da war
tut es aber nicht
das jüngste grauen ist nicht mehr zu spüren
komisch ist dieser ort so heimisch
in den kompositionen seines wuchses
seltener wege noch seltener objekte
schon legst du dein shirt am beton ab
reckst dich der späten sonne entgegen.
In den städten trägt es
mich oft an grüne wildest mögliche
flecken irgendwo
im schilf denke ich
an die umarmte nacht
in der wir beide vor allem deine
harte woche ausschliefen
und du mir am morgen einen
geblasen hast: ich sehe
deine wahl
all diese unterbezahlte
kommunikative arbeit zu tun
steht im einklang mit
deinem charakter natürlich bist du
wie wer-denn-nicht
deinem abbild zugeneigt aber
vor allem: musst du geben
ich wollte aber eigentlich etwas
anderes nochmal ich weiß
als mich im schilf in dieser
oder jener stadt
an einem warmen sonnigen
tag im september
oktober vielleicht mai
suche nein mich verirre
sagte ich verirre mich also
auf einen kleinen pfad
der sich reizend ins dickicht
schlängelt und
heim
ferne
ruhe
tier
lichtung
fels
verspricht und ich mich genau
dort für einen augenblick
an deinen schwanzvollen mund
erinnere steige auf zu diesem
oder jenem aussichtspunkt
irgendwo am rand des parks des schutz-
gebietes etwas weiter der küste entlang
treffe
oft treffe ich auf den ersten typen
der sich unruhig wendet auf
zwei mehrere ältere hauptsächlich
gläubige auch arme
manchmal aber eher geschäfts- schwule
wählen die schönsten orte
trotzen der zeit liebkosen
sind selbst wie diese orte sind
diese orte nervös und
ruhig zugleich auf der lauer eben
liebend jagend lediglich wesen
die einwilligen
bukolische szenen beinahe
übertönt von der verkehrsreichen
achtspurigen bahn einige meter
entfernt sicher entrückt über
dem familienleben auf
hübschen wegen am see
moor teich fluss
szenen spazierender herren
aus büros in den hang kommend
von frühen mittagessen oder liegestätten
unten am wasser sich
diese elegant durchzogenen pfade bahnend
oben ohne sitzend auf einem klapp-
stuhl inmitten einer schmalen lichtung
mich daran erinnernd
woher ich selbst komme auf
die tatsache weisend dass mein körper sich sträubt
beim rascheln des schilfs
sich unter der sonne spannt
die durch das spärliche laub dringt
sich im wasser zusammenzieht
sich mit der dürren staubigen erde
paart.
Schilf
Aus dem Slowenischen von Daniela Kocmut.
Im Herbst 2019 war Uroš Prah als erster Stipendiat der neu gegründeten Traduki-Literaturresidenz in Zusammenarbeit mit dem Rumänischen Nationalmuseum für Literatur und Headsome Communication in Bukarest zu Gast.
Er veröffentlichte drei Gedichtbände: Čezse polzeči (Ljubljana: CSK, 2012), Tišima (Ljubljana: CSK, 2015 – nominiert für den Veronika Preis sowie den Simon Jenko Preis) und Udor (Lubljana: ŠKUC, 2019). 2018 erhielt er den Exil Lyrikpreis in Wien für sein in Deutsch verfasstes investigatives Gedicht Nostra Silva. Im Februar 2019 war er Artist-in-Residence des Slowenischen Kulturministeriums in New York, im September 2019 in Bukarest, im Juni 2020 IHAG Stipendiat in Graz. Übersetzungen seiner Bücher, Gedichte und Essays erschienen bisher in fünfzehn Ländern. Er war Mitbegründer und Chefredakteur der Literaturzeitschrift IDIOT, Programmdirektor des internationalen Festivals Literodrom und Mitbegründer des Museums des Wahnsinns, Trate. Zur Zeit lebt er in Wien.
Die ausgewählten Gedichte sind aus dem Gedichtband Udor.
Fotos von © Uroš Prah. Design von Beri.